Dienstag, 20. Mai 2008

La Banlieue

Es hat mich wieder einmal nach Paris verschlagen. Die Stadt ist noch immer wundervoll, ich war im Louvre und so weiter. Fotos zu machen, hab ich noch nicht geschafft. Mal gucken, ich hab irgendwie keine große Lust, zu knipsen. Ich will diesmal sowieso was anderes erzählen als die ewigen Huldigungen auf die Kultur und Schönheit von Paris zu wiederholen.

Diesmal bin ich nämlich bis nach Cergy vorgedrungen, eine Vorstadt, da, wo sie immer Autos umwerfen und anzünden. (Ihr erinnert euch: Paris IV war im Zentrum.) Eine Stunde Zugfahrt. Jedenfalls sieht es in Cergy ziemlich hübsch aus. Wohnen möchte ich da nicht, aber hauptsächlich, weil so überhaupt nichts los ist. Wirkt alles furchtbar harmlos, ereignisloser als eine deutsche Kleinstadt.

Ich wurde allerdings gewarnt, dass hier nicht alles so knuffig sei. Kriminalität und Gewalt soll es wohl schon ganz gut geben. Obgleich Gebäude und Straßen in gutem Zustand, ganz hübsch und sauber sind. Mühe hat man sich gegeben, das wohnlich einzurichten. Randaliert wird wohl trotzdem. Wenigstens kann die physische Umgebung nicht als Entschuldigung herhalten.

Ein Zeichen dafür, wie es hier zugehen kann, ist die ESSEC. Das ist eine Grande Ecole für künftige Manager in der Wirtschaft. Eines dieser Elitedinger, wie die Franzosen sie wohl lieben. Will man in das Grande-Ecole-Programm, muss man nach dem Abitur erstmal zwei Jahre lang eine vorbereitende Schule besuchen. Hat man die hinter sich, macht man ein bockeschweres Aufnahmeexamen, in zwei Fremdsprachen, Mathematik, Geschichte, Philosophie... Erst wenn man das bestanden hat, ist man elitär und darf dort studieren. Das dauert dann nochmal drei Jahre plus 18 Monate Praktika. Danach gehört man endgültig zur Wirtschaftselite Frankreichs.

Irgendwie ist mir dieses Bildungsmodell ungeheuer. Was ich höre, lässt einem die vorbereitende Schule während der zwei Jahre null Freiheit. Hobbys, Sport und sowas kann man vergessen. Danach zahlt man gutes Geld an ESSEC, um studieren zu dürfen (an anderen Grandes Ecoles gibt es allerdings nicht immer Gebühren), und wenn man einen PhD will, muss man nochmal gut was übern Tresen schieben. Wenigstens hat man dann wieder ein wenig Zeit neben dem Studium, muss das dafür in einer tristen Banlieue absolvieren. Die Führungsriege des Landes in Verwaltung und Wirtschaft rekrutiert sich dann fast ausschließlich aus den ganzen Elitehochschulen.

Ich vermute, mein Aufwachsen in Deutschland hat mir einfach ein gehöriges Misstrauen in Eliten eingeimpft, und so beäuge ich das hiesige System äußerst misstrauisch. Wobei ich dieses Misstrauen alles andere als schlecht finde.

Jedenfalls sitzt ESSEC in Cergy. Der Campus ist ziemlich hübsch und modern. Platz gibt es genug, und Angst vor irgendwas braucht man nicht zu haben. Höchstens vor grantigen Hochschullehrern, aber die muss man in jedem Land fürchten. Angstfrei ist es, weil der gesamte (recht große) Campus hermetisch abgeriegelt ist. Wie in Cork (siehe letztes Jahr), aber mit Sicherheitskräften. Weil das hier eben immer noch die Banlieue ist und nicht grade sicher. Jetzt hab ich wenigstens eine Gemeinsamkeit zwischen Paris und Kiev entdeckt. Soziale Spannungen unter der hübschen Fassade von Cergy, nur bemerkbar anhand des Sicherheitspersonals der ESSEC. Dieses Land scheint da in der Tat ein ordentliches Problem zu haben.

Dass der Louvre einen Besuch wert ist, habt ihr sicher gehört. Riesig, das Ding. Die Mona Lisa ist wohl das lebendigste Gemälde, das ich je gesehen habe. Guckt einem immer hinterher, verändert den Gesichtsausdruck... Trotzdem ist das ganze Aufsehen darum etwas albern. Die Venus find ich einfach langweilig. Es gibt eine ganze Menge sehr schöner Gemälde, die auch etwas Aufmerksamkeit verdienen. Ich hab dazu beigetragen.

In der Bibliothèque Historique de la Ville de Paris ist eine temporäre Ausstellung mit privaten Aufnahmen eines Pariser Fotografen, entstanden während der Besatzungszeit durch das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg. Aufnehmen durfte er nur, weil er neben seinen Privataufnahmen fleißig Bilder für ein deutsches Propagandablatt machte. Entsprechend war er alles andere als unvoreingenommen, nur auf zwei Bildern sieht man das Hakenkreuz und auch Soldaten vermied der gute Mann als Motiv. Er scheint den Betrachtern sagen zu wollen, dass es den Leuten in Paris unter den Nazis ziemlich gut ging (was ja nicht richtig ist, wie wir alle wissen). Wäre schlecht für die Propaganda gewesen, zu zeigen, wie die Franzosen unterdrückt werden. In diesem Kontext betrachtet, sind die Aufnahmen aber immer noch großartige Kunst und einen Besuch wert.

Keine Kommentare: